Plötzlich Homeoffice – Ein kleiner Guide für Arbeitgeber, Eltern und Arbeitnehmer
Homeoffice ist neu für manche. Und dann gleich alles unter erschwerten Bedingungen. Zum Beispiel mit Kindern zuhause. Oder ohne jemals ein Online-Meeting ausgerichtet zu haben. Ich will Dir zeigen, wie das bei uns abläuft. Vielleicht ist etwas dabei, was auch für Dich hilfreich ist.
Es ist ja nicht so, als wäre Homeoffice im Jahre 2020 für alle selbstverständlich. Und es ist auch nicht so, dass Homeoffice plötzlich das viel gelobte „neue Arbeiten“ ist. Im Grunde natürlich schon. Für alle, für die Homeoffice bisher nur eine Ausnahme oder überhaupt nicht möglich war. Aber ich glaube schon jetzt sagen zu können, dass die Zwangspause für das gemeinsame Büro beziehungsweise den Treffpunkt Firma uns mindestens zwei Dinge zeigen wird: Erstens, dass Homeoffice funktioniert und eine gute Alternative ist und zweitens aber keine Alternative, die für alle Menschen ein ständiger Zustand sein wird. Wir sind Sozialtiere. Und schon jetzt, nach eigentlich recht kurzer Zeit, höre ich an verschiedenen Stellen, dass viele sich wieder den nicht-virtuellen Austausch und Kontakt mit ihren Kolleginnen und Kollegen wünschen. Ob das eine reine Gewöhnungssache ist, bestimmte Menschen, Charaktere oder gar Berufe, besser für eine Homeoffice-Tätigkeit geeignet sind als andere, oder ob die Zwiespältigkeit an der allgemeinen Isolation momentan liegt, kann ich nicht sagen.
Wenn ich aber auf unser eigenes Unternehmen schaue, dann weiß ich, dass ich mich auch immer wieder gerne im Büro mit meinen Kolleginnen und Kollegen treffe. Und das, obwohl wir mit Blick auf unser Leistungsangebot den größten Teil unserer Arbeitszeit bei Kunden unterwegs sind und auch ansonsten jeder dort arbeiten kann, wo er möchte. Und im Grunde auch so lange oder so kurz wie er möchte. Denn die Rahmenbedingungen für unsere agile und ortsungebundene Zusammenarbeit setzen sich letztlich nur aus den gesetzlichen Bestimmungen, Qualität, Kundenzufriedenheit, Mitarbeiterzufriedenheit und ggf. dem Einhalten von Deadlines zusammen. Eine Zeitkomponente, also eine Mindestarbeitszeit gibt es nicht. Beste Voraussetzungen also für die Arbeit von zuhause oder anderswo.
Und trotzdem kommen wir immer wieder gemeinsam an einem geteilten Ort in der realen Welt zusammen. Das Bedürfnis danach ist bei manch einem stärker als bei anderen, aber wir sehen uns trotzdem einigermaßen regelmäßig „in echt“.
Dass diese Art von Zusammenarbeit jetzt neu ist und deren Umsetzung aus der Not heraus geboren wird, macht es für Unternehmen, aber auch für Arbeitnehmer und Familien teils schwer sich zu orientieren. Ich finde nicht, dass es ein Geheimrezept dafür gibt, wie eine effektive Heimarbeit aussieht. Heimarbeit übrigens im Sinne von „nicht im Büro, sondern irgendwo anders.“ Aber die Beispiele von anderen können vielleicht dabei helfen, Orientierung auf seinem eigenen Weg zu finden. Aus Arbeitgeber-, aber auch aus Arbeitnehmersicht. Und mit letzterer wollen wir beginnen.
Der Arbeitsplatz
Das aller erste, über was man sich Gedanken machen sollte, ist der Arbeitsplatz. Ich habe das Glück, dass ich zuhause ein extra Büro habe. Gleichsam bin ich aber häufig auch im Zug unterwegs, in Hotels beziehungsweise in anderen Städten und ich glaube, es ist wichtig, dass man für sich selbst herausfindet, was man für ein konzentriertes Arbeit in Sachen positiver Umgebung braucht.
Ich brauche für komplexe Aufgaben Ruhe. Und das bedeutet für mich, dass zum Beispiel ein Café oder ein Ort im Haus oder in der Wohnung, in dem ich ständig gestört werde, sich für derlei Arbeiten nicht anbietet. Zuhause pendle ich in der aktuellen Situation zwischen Küchentisch und Büro. Warum das so ist, erzähle ich später. Aber in aller Regel arbeite ich in meinem Arbeitszimmer. Ich weiß, dass das in einer kleineren Wohnung nicht so einfach ist. Deshalb halte ich auch nicht viel von Tipps, die da lauten: Bloß nicht im Schlafzimmer, weil man sonst abends nicht zur Ruhe kommt. Das mag natürlich Hintergründe haben, die ich nicht kenne. Aber ich finde, wenn man, wie ich, eine ruhige Umgebung braucht, um schwierige Aufgaben vernünftig umzusetzen, dann kann das Schlafzimmer vielleicht genau der richtige Ort sein, weil sich der Rest der Familie dort tagsüber eher selten aufhält.
Sucht einen Ort, der zu Euch passt. Oder sucht Euch mehrere Orte, die für unterschiedliche Aufgaben passen.
Mit Kindern daheim
Diese unterschiedlichen Orte sind für mich in der aktuellen Situation auch nötig. So wie andere Familien auch, müssen meine Frau und ich unsere kleine Tochter jetzt ganztags daheim betreuen, sind aber beide berufstätig.
Wir haben uns also ein Schichtmodell überlegt. In der Regel betreue ich unsere Kleine am Vormittag, koche das Mittagessen, wir essen gemeinsam, ich bringe sie dann ins Bett, dann folgt für uns alle eine Mittagspause und danach ist Schichtwechsel: Ich gehe ins Büro und meine Frau übernimmt die Kleine.
Das heißt für mich, dass ich Vormittags meine Arbeitsstation in der Küche aufbaue. Natürlich kann ich nicht voll arbeiten, denn ich muss ein Auge auf die Kleine haben, mit ihr spielen und ihr Aufmerksamkeit schenken. Aber wir haben gesagt, dass wir ihr irgendwie in dieser Zeit beibringen müssen, auch ein bisschen Zeit mit sich allein zu verbringen. Sie ist jetzt eineinhalb Jahre, also gar nicht so einfach.
Alle nicht-komplexen Aufgaben und kurze Telefonate lege ich mir dann in den Vormittag. Das sollten Aufgaben sein, deren Bearbeitung nicht zu lange dauert und bei denen es auch okay ist, wenn sie nicht sofort fertig werden müssen, beziehungsweise, die unterbrochen werden können.
Das sind zum Beispiel E-Mails, ein paar Recherchen, die Delegation von Aufgaben im virtuellen Team, kurze Kundenanfragen und so weiter. In den Nachmittag lege ich mir dann Aufgaben, die einfach mehr Konzentration erfordern. Längere Video- oder Telefonkonferenzen, Konzeptarbeiten und Strategieentwicklungen, die Entwicklung von Inhalten wie diesem Podcast hier und so weiter.
Sich so zu organisieren setzt natürlich zwei Dinge voraus: Beide Elternteile sind irgendwie ein Stück weit flexibel was ihre Arbeitszeit anbelangt und man kann sich und seine Arbeit vernünftig organisieren.
Hilfreiche Tools & Selbstorganisation
Letzteres halte ich für unabdingbar. Aber nicht nur im Homeoffice, sondern auch sonst. Man muss sich organisieren können und dafür gibt es nicht nur ganz unterschiedliche analoge und digitale Helferlein, sondern es gibt natürlich auch hier wieder unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Vorlieben.
Bei uns arbeiten wir in aller Regel digital. Entsprechend haben wir uns eine kleine Kultur an digitalen Instrumenten zusammengezüchtet, die uns dabei hilft, uns zu organisieren. Ich zähle die wesentlichen Dinge kurz auf:
- Trello für die Projektorganisation
- ToDoIst für persönliche und terminierte Aufgaben
- Microsoft Teams und Slack für die Team- und teilweise auch für die Kundenkommunikation
- Outlook für E-Mails und den Kalender
- Clickmeeting für virtuelle Konferenzen und Meetings
- Eine Cloudlösung für die Datenablage und den Datenaustausch
Das wars auch schon. Es gibt tausende weitere, unterschiedliche und ähnliche Tools. Ich persönlich probiere total gerne neue Dinge aus. Aber ich finde es nicht sonderlich hilfreich, wenn ich Apps wie Sand am Meer um mich schare. Ich glaube, dass auch hier das Leanprinzip von Vorteil ist.
Mit diesen Tools organisiere ich mich im Büro und genauso auch daheim oder sonst wo. Ich plane meine Aufgaben, so gut das möglich ist, so wie weiter oben beschrieben, obwohl natürlich trotzdem immer mal wieder etwas dazwischen kommt. Aber wichtig bleibt, dass man Prioritäten vor Augen hat. Was ist jetzt wirklich wichtig? Was muss heute fertig gemacht werden? Was kann warten?
Tja, und dann lege ich los. Da mit meiner Kleinen der Tag schon recht früh beginnt, fange ich auch früher als sonst an. Ich mache meistens mittags eine längere Pause, um ein wenig durchschnaufen zu können.
Pausen machen
Denn auch das ist wichtig: Regelmäßige Pausen. Da das mit einem kleinen Kind eher schwierig ist, muss ich mir eben überlegen, wie ich Pausen organisiere. Ich rate Euch unbedingt dazu, den Tag im Homeoffice ebenso mit Pausen zu spicken, wie ihr das wohlmöglich auch im Unternehmensbüro machen würdet. Überhaupt sollte das Arbeiten im Homeoffice mit Blick auf gewisse Routinen möglichst ähnlich angelegt werden, wie das Arbeiten an einem anderen festen Arbeitsort. Auch wenn das natürlich nicht immer geht und manchmal auch gar nicht gewünscht ist. Glaubt mir: Obwohl ich häufig das Gefühl habe, im Homeoffice viel effektiver arbeiten zu können, als in unserem Großraumbüro, schmeiß ich natürlich trotzdem zwischendurch mal Wäsche in die Waschmaschine, räume die Geschirrspülmaschine aus oder mache sonstige Kleinigkeiten. Quasi als Pausen zwischendurch. Denn den ganzen Tag auf einen Monitor zu schauen, ist ziemlich anstrengend, wenn man es sonst nicht gewöhnt ist.
Kleidung
Ein immer wieder aufkommendes Thema in Sachen Homeoffice ist die Anzugordnung. Was trägt man denn jetzt? T-Shirt und Boxershorts oder Hemd und Jeans? Wahrscheinlichkeit liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen. Wer sich in ersterem wohl fühlt und dabei nicht vor dem Rechner einschläft oder Videokonferenzen so bestreitet, dem sei das unbenommen. Ich selbst trage im Homeoffice auch nicht jeden Tag business casual, aber für mich ist es trotzdem wichtig, anständig angezogen zu sein. Ich finde es sehr hilfreich, nicht das Gefühl zu haben, einen „faulen Tag“ zu beginnen, sondern eben einen ganz normalen Arbeitstag. Nur halt nicht in einem festen Büro, sondern daheim. Hat also aus meiner Sicht durchaus auch etwas mit Haltung zu tun. Einer Haltung gegenüber sich selbst und auch gegenüber dem Job, den man macht.
Meetings
Schauen wir außerdem auf das Thema „Meetings“. Wenn Meetings online stattfinden, dann ist das letztlich eben doch anders, als in der physischen Welt. Persönlich bevorzuge ich Online-Meetings als Videokonferenz, damit man sich nicht nur hört, sondern eben auch sieht. Trotzdem ist das nicht zu vergleichen mit einer Situation, in der tatsächlich alle in einem Raum sind.
Online-Meetings brauchen meiner Meinung nach eine wirklich straffe Organisation. Das sollte eigentlich auch für Offline-Meetings gelten, aber gerade, wenn Ihr Euch online trefft empfehle ich unbedingt eine klare und stringente Agenda, ein klar definiertes Meetingziel und eine strikte Moderation. All das sollte natürlich vorher kommuniziert sein. Der Moderator führt in das Thema ein, erteilt das Wort an andere Meetingteilnehmer, unterbindet wildes Durcheinanderreden und ordnet die geäußerten Gedanken. Außerdem hält er alles in einem Protokoll fest. Das klingt sehr aufwändig, aber wenn man das ein paar Mal gemacht hat, klappt das richtig gut und zügig.
Außerdem möchte ich Euch dringend raten, Meetings auf maximal 90 Minuten zu beschränken. Lieber deutlich kürzer. Und entsprechend nur so viele Themen in einem Meeting zu bearbeiten, die in der Zeit auch wirklich machbar sind. Heißt letztlich, dass ein Meeting manchmal auch nur ein einziges Thema behandeln sollte, wenn dazu erhöhter Redebedarf zu vermuten ist. Alle Teilnehmer müssen sich insofern selbst disziplinieren, als dass sie ihre Beiträge möglichst kurz und damit auf den Punkt bringen. Der Moderator muss entsprechend eingreifen.
Überhaupt lege ich Euch wärmstens ans Herz, gerade jetzt, da aktuell fast nur noch im Homeoffice gearbeitet werden kann: Versucht die Zahl der Meetings auf das wirklich notwendige zu beschränken. Man muss wirklich nicht für alles mögliche ein Meeting einberufen. Das kostet Euch Zeit, das kostet aber auch alle Teilnehmenden Zeit. Und die fehlt dann für das Abarbeiten Eurer Aufgaben. Besonders dann, wenn Euer Arbeitstag zwecks Kinderbetreuung einfach kürzer ausfallen muss als sonst.
Greift lieber häufiger Mal auf einen Messenger zurück. Bei den meisten Messengern kann man Kanäle für bestimmte Themen oder Projekte anlegen. Und solche Kanäle können dabei helfen, Meetingzeiten zu reduzieren.
Außerdem ist es zudem ganz ratsam, das E-Mail-Postfach nicht zu überfrachten. Man lässt sich schnell von allem möglichen ablenken. Und es macht wenig Sinn redundante Kanäle zu pflegen. Bei uns gibt es dazu eine ganz einfache Regel: Alles, was intern auszutauschen ist, wird über den Messenger erledigt. Alles was nach draußen gehen muss oder von draußen hinein kommt, wird per E-Mail erledigt. CC-Empfänger nur, wenn es wirklich nicht anders geht. Man kann sich aber die Frage stellen, ob es das CC-Feld wirklich braucht. Denn entweder eine Mail ist für den Empfänger wichtig, dann sollte die Mail auch an diesen Empfänger gerichtet sein oder sie ist es nicht. Und dann braucht man eigentlich auch kein CC-Feld.
Insgesamt sollen Euch diese Anregungen nicht nur dabei helfen, Euch zu organisieren. Sie sollen Euch auch dabei helfen, Eure Zeit effektiv zu nutzen. Es stimmt schon, dass man sich im Homeoffice häufig auch mal ablenken lässt. Gerade, wenn die Familie da ist. Aber ein tatsächliches Hindernis ist das nicht, finde ich. Es ist nur die Frage, wie man das organisiert.
Letztlich muss man als Mensch, aber auch als Organisation, diese Form der Zusammenarbeit lernen. Und das braucht einen Moment Zeit und es gibt außerdem auch Reibung. Aber wenn man übt und sich bewusst darüber austauscht, was funktioniert und was nicht, ist dieses Setting erstens eine tolle und flexible Art der Arbeit, ein gutes Erlebnis und letztlich auch eine sehr vernünftige Alternative zu einem immer festen Arbeitsort. Aber wie gesagt: Es kommt unter anderem auch auf die Menschen und ihre Vorlieben an und es hängt natürlich immer auch an dem Umstand, dass sich die meisten von uns den sozialen und physischen Austausch miteinander wünschen. Es ist eben die Frage, ob das eine tägliche Basis braucht.
Der Arbeitgeber ist der Dreh- und Angelpunkt
Was natürlich ebenso nötig ist, ist ein Arbeitgeber, der all das zulässt. Aktuell haben viele Arbeitgeber gar keine andere Wahl. Sie werden in ein Experiment gestürzt, dass sie bisher ablehnten oder dem sie misstrauisch gegenüber standen. Aus vielleicht ersten Gehversuchen mit einem Tag Homeoffice die Woche oder im Monat wird plötzlich eine hundertprozentige Büroabwesenheit und ein „Remote-Arbeitsplatz“. Das ist für Führungskräfte nicht leicht, weil sie ihr Team nun nicht mehr sehen. Und für Arbeitgeber als kulturgeprägte Organisationen ist das auch ziemlich schwer.
Ein grundlegender Kulturaspekt, der in manchen Organisationen das Arbeiten von Zuhause oder an einem andern Platz entweder besonders gefördert oder aber besonders verhindert hat, ist das Thema Vertrauen. Ich finde es immer wieder interessant zu beobachten, dass die Vertrauensbeziehung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern auf teils paradoxen Füßen steht. Sind alle im Büro gibt es in vielen Organisationen durchaus das Vertrauen, dass die Jobs erledigt werden. Natürlich genauso auch Organisationen, die darauf wert legen, häufig zu kontrollieren. Vielleicht, weil sie eben kein so hohes Vertrauen in ihre Belegschaft haben.
Aber spätestens dann, wenn der Arbeitnehmer nicht im Büro, sondern andernorts arbeiten möchte oder soll, ist das mit dem Vertrauen so eine Sache. Im Homeoffice würde man doch nicht richtig arbeiten, heißt es dann. Da sei man doch viel zu abgelenkt und die Verführung sei doch viel zu groß, einfach nichts zu machen.
Mal ganz ehrlich: Zum einen muss man doch festhalten, dass Führungskräfte nicht den ganzen Tag hinter ihren Teammitgliedern stehen, um zu schauen, ob sie auch wirklich arbeiten. Zumal vor allem in Bürojobs ohnehin keine acht Stunden durchgeackert wird. Ob ein Mitarbeiter seine Leistung erbringt oder nicht, sieht man an seinen Arbeitsergebnissen, nicht an der Anzahl der Stunden pro Woche, die er im Büro zubringt.
Zum anderen halte ich es für empfehlenswert, einen Mitarbeiter als das zu sehen, was er ist. Ein Mensch, der nicht nur aus der Stellenbeschreibung besteht. Außerhalb des Büros übernehmen unsere Mitarbeiter Verantwortung in Ehrenämtern, sie bauen Häuser, gründen Vereine, erziehen Kinder, organisieren ihr Privatleben und so weiter. Warum glauben immer noch so viele Menschen in Führungspositionen, dass diese Art der Verantwortungsübernahme nicht mehr möglich ist, sobald die Mitarbeiter aufs Werksgelände kommen? Es ist mir ein Rätsel. Natürlich braucht es immer auch eine individuelle Betrachtungsweise. Es gibt Menschen, die können und wollen Verantwortung für sich, vielleicht auch für andere übernehmen und solche, denen das schwer fällt. Und es gibt Menschen, die einen Remote-Arbeitsplatz vielleicht zum eigenen Vorteil und zu Lasten des Arbeitgebers ausnutzen. Aber das wird genauso auffallen, wie es auffallen würde, wenn diese Menschen zusammen mit den Teamkollegen in einem Büro im Firmengebäude arbeiten. Ziele, Leistung, Qualität.
Arbeitgeber müssen gerade in dieser Zeit das Vertrauen in und gegenüber ihren Mitarbeitern vielleicht manchmal neu entdecken. Sie müssen es zulassen, dass ihre Belegschaft Verantwortung für die Organisation ihres Arbeitstages übernimmt. Führungskräfte können trotzdem steuern. Nicht ganz so, wie im physischen Kontext, aber es geht. Zunächst einmal muss eine Haltung her, die es grundsätzlich erlaubt, eine neue Form der Zusammenarbeit zielführend zu organisieren. Jetzt gerade gibt es eine Art Zwang. Aber dieser Zwang wird sich wieder lösen. Und es ist aus meiner Sicht sinnvoll, deshalb jetzt schon zu überlegen, wie es danach weiter gehen soll. Und jetzt schon gewisse Messkriterien anzulegen, die es ermöglichen diese experimentelle Phase bewerten zu können. Ich glaube, es wäre unsinnig und verschenkt, wenn man sich einfach auf den Standpunkt stellt, dass nach der Krise einfach alles wieder zu einer Normalität wie vor der Krise wird. Ich glaube, es wird sich jetzt vieles verändern und ich rate jedem Arbeitgeber sich darauf vorzubereiten.
Christoph Keese, Geschäftsführer von Axel Springer hy GmbH hat via LinkedIn vor einigen Tagen sieben Regeln kommuniziert, von denen er meint, dass wir diese in der aktuellen Zeit beachten sollten. Sein sechster Punkt liest sich wie folgt:
Home Office ist kein Sonderurlaub – auch nicht, wenn die Kinder Zwangsferien haben. Mitarbeiter eng führen. Leistungen abverlangen. Die gewohnten Rhythmen und Meetings einhalten – nur eben virtuell. Mitarbeiter ermuntern, Kunden und Lieferanten beruhigende Signale zu senden. Um andere kümmern. Zeigen, dass man an sie denkt.
Die ersten vier Sätze spiegeln eine Haltung wider, die ich aktuell keine Arbeitgeber so empfehlen kann. Ehrlich gesagt, finde ich diese Aussagen ziemlich furchtbar. Gerade jetzt könnten Arbeitgeber viel für die Mitarbeiterbindung tun. Denn sie könnten durch eine klare Priorisierung, weniger Meetings und ein gewisser „Mehr“ an Freiheiten ihren Mitarbeitern das geben, was sie gerade familiär dringend brauchen: Mehr Zeit. Wer sich vom Arbeitgeber, von seiner Führungskraft genötigt fühlt, völlig gehetzt zwischen Kindern, Alltag, Videokonferenzen, zig Anrufen und Mails hin- und herzuspringen und dabei noch ständig die Ansage bekommt, dass dies und jenes bitte gleich und sofort umfänglich fertig zu sein hat, der trägt vor allem dazu bei, dass Mitarbeiter kaum in der Lage sein werden, unter solchen Umständen eine gute Leistung zu erbringen. Und so ein Verhalten wird aus meiner Sicht negativ auf das Loyalitätskonto einzahlen. Spätestens nach der Krise wird sich dieses Minus schmerzlich bemerkbar machen. Gebt Euren Leuten mehr Zeit für die Organisation dieser widrigen Umstände! So haben sie letztlich mehr Energie für eine gute Leistung während konzentrierter Arbeitsphasen. Auch wenn das heißt, dass die Arbeitszeit insgesamt gerade kürzer ausfällt.
Ein Beitrag zur Arbeitgeberattraktivität
Ein positiver Mitarbeiterumgang in dieser Zeit und eine gute Organisation unter Berücksichtigung der Umstände trägt meiner Meinung zur Arbeitgeberattraktivität bei. Ich lehne mich jetzt mal ganz weit aus dem Fenster: Es kann, mit Abstrichen aufgrund der wirtschaftlichen Lage, geübt werden, ob ein 8-Stunden-Arbeitstag immer noch das Nonplusultra ist. Wir werden vielleicht im Laufe der Krise und danach Organisationen sehen, die sich wunderbar angepasst haben und sich verändern. Wir werden vielleicht feststellen, dass nicht für jede Organisation dasselbe gelten muss und kann. Vielleicht braucht es in manchen Organisationen den 8-Stunden-Tag in anderen nicht. Vielleicht braucht es in manchen Organisationen die tägliche physische Präsenz, in anderen nicht.
Die Zeit, die wir gerade erleben ist unfassbar schwer. Und ich sage das als ein Unternehmer, der von der Krise aufgrund unseres Tätigkeitsfeldes ziemlich gebeutelt wird. Aber gleichsam will auch sagen: Diese Zeit ist auch eine Chance. Eine Chance dafür, Entwicklungen zu beschleunigen, die wir als Unternehmen und Organisationen vielleicht ohnehin brauchen werden, um den Herausforderungen des demographischen und gesellschaftlichen Wandels gewachsen zu sein.
Ich will Euch also alle ermutigen: Euch, die Arbeitgeber, die Arbeitnehmer, die Familienmütter und -väter. Probiert Dinge aus. Es geht gerade sowieso nicht anders. Lasst Dinge zu, die ihr sonst nicht zugelassen habt. Holt Euch Tipps von Menschen, die in diesen Dingen schon etwas weiter sind. Aber entwickelt auf jeden Fall Eure eigene Linie.
Wenn Ihr Fragen habt, zum Beispiel dazu, wie man als Führungskraft ein Team virtuell führen kann, wenn Ihr noch mehr zum Thema Organisation im Homeoffice wissen möchtet oder wenn Ihr wissen wollt, was Ihr als Chefs oder Eigentümer jetzt schon tun könnt, um systematisch Erfahrungen für morgen zu generieren oder diesen so kurzfristigen Veränderungsprozess als Arbeitgeber möglichst gut zu schaffen, dann meldet Euch bei mir. Per Mail, über die sozialen Netzwerke oder über alle anderen Kontaktmöglichkeiten.
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